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Bioshock Infinite – Irritationen

Bioshock InfiniteAuf dem Papier ist „Bioshock Infinite“ wie für mich gemacht. Ich mag Egoshooter, ich mag ungewöhnliche Settings und ich mag gute Stories. Und doch habe ich das Spiel erst vor kurzem gespielt. Warum? Ganz einfach … ich mochte den Vorgänger „Bioshock“ nicht sonderlich. Dieser war ebenfalls ein Egoshooter, hatte ebenfalls ein ungewöhnliches Setting und hatte – so heißt es – eine gute Geschichte. Bestätigen kann ich das allerdings nicht wirklich, da ich von dieser nicht unbedingt viel mitbekommen habe.

KLEINER EXKURS: „BIOSHOCK“, DAS ORIGINAL

Ich habe es an anderer Stelle schon einmal erwähnt: Funksprüche und Audiologs sind eine ganz furchtbare Unart und vollkommen ungeeignet eine Geschichte angemessen zu vermitteln. „Bioshock“ setzt jedoch fast vollständig auf Funksprüche und Audiologs. Das funktioniert nicht. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich unfähig bin, meine Aufmerksamkeit zwei Dingen gleichzeitig zu schenken oder daran, dass das einfach prinzipiell scheiße ist, aber es funktioniert einfach nicht. Auch der Egoshooter-Part hat mich nie sonderlich angesprochen, da ich unter den ständigen Angst litt, dass Munition und/oder Plasmide knapp werden könnten … bäh! Mag ich nicht. Aber das ist eher ein persönliches Problem.

„Bioshock“ ist meines Erachtens also vollkommen überschätzt … genau das würde ich zumindest sagen, wäre da nicht Rapture, die geheimnisvolle Unterwasserstadt, in der die Ereignisse von „Bioshock“ ihren Lauf nehmen. Rapture erzählt seine Geschichte deutlich besser und eleganter wie alle Funksprüche und Audiologs in „Bioshock“ zusammen genommen. Vorsichtig wandert man durch diese fremde und doch irgendwie vertraute Welt, erschrickt vor unheimlichen Schatten und möchte erfahren wie diese offenbar einst so prachtvolle Stadt vor die Hunde gegangen ist. Woher kommen die geheimnisvollen Plasmide? Wieso verhalten sich die wenigen Einwohner, denen man begegnet, wie wahnsinnige Junkies? Was zum Teufel sind die Big Daddies und wieso beschützen sie die unheimlichen Little Sisters? Ich will es wissen! Und dann haut man mir all diese Informationen zu großen Teilen in Funksprüchen und Audiologs um die Ohren … diese faule Allroundlösung des Erzählens in Videospielen. Es ist eine Schande.

„BIOSHOCK“ IN BESSER: „BIOSHOCK INFINITE“

Bioshock_Infinite2Vielleicht liegt es ja an meinem ambivalenten Verhältnis zu „Bioshock“ … aber ich fand „Bioshock Infinite“ deutlich besser wie seinen hochgelobten Vorgänger. Das entscheidende Element hierbei ist Elizabeth. Sie ist Dreh- und Angelpunkt der gesamten Geschichte. Ihretwegen wird die Hauptfigur Booker DeWitt nach Columbia geschickt, einen Großteil der Handlung steht sie uns zur Seite und nach und nach wächst sie dem Spieler – und Booker – ans Herz. Doch ganz davon abgesehen, dass sie als Handlungselement und emotionales Bindeglied von enormer Bedeutung ist, hat sie noch eine weitere wichtige Funktion: Booker hat fast durchgängig jemanden um sich herum, mit dem er einen direkten Dialog führen kann. Alleine dieses kleine Detail erleichtert es gewaltig, der Story zu folgen. Wenn Elizabeth spricht, konzentriert man sich voll und ganz auf sie und kann im Normalfall – zumindest wenn der Dialog handlungsrelevant ist – auch sicher sein, dass es zu keiner Ablenkung von außen kommt … sei es durch überraschend angreifende Gegner oder einen interessant aussehenden Raum, den man gerade ganz gerne untersuchen würde. Die Tatsache, dass neben Elizabeth auch noch andere dem Spieler nicht feindlich gesinnte NPCs durch Columbia flanieren und durch ihre Aktivitäten die Handlung ebenfalls voran treiben, stärkt das Geschichtsverständnis noch zusätzlich. Ärgerlich allerdings: um jedes Detail der Story zu verstehen, muss man sich weiterhin durch diverse Audiologs hören (bzw. sie sich im Nachhinein durchlesen, da man während des Spiels durch Gegner, Columbias Attraktionen oder Elizabeth abgelenkt wurde).

SWEET MOTHER OF COLUMBIA

Der Handlungsort Columbia ist ähnlich ungewöhnlich wie es auch Rapture war. Abgesehen davon gibt es allerdings nur wenig Gemeinsamkeiten. War Rapture eine dem Verfall ausgesetzte und menschenleere Stadt in den Tiefen des Meeres, ist Columbia eine – zumindest oberflächlich – prächtige und florierende Stadt in den Wolken, die mit eiserner Faust von dem selbsternannten Propheten Zachary Comstock regiert wird. Dieser hält seine Tochter Elizabeth im Inneren einer riesigen Statue gefangen und lässt sie von einem ebenso riesigen mechanischen Vogel namens Songbird bewachen.

Das klingt ein wenig märchenhaft und die ersten Schritte in Columbia erinnern auch an einen Ausflug in einen Steampunk-Märchen-Vergnügungspark. Alles ist hell und bunt, die Menschen sind in Feierlaune, Gebäude schweben unwirklich in der Luft, mechanische Pferde stehen in den Gassen. Und dann gibt es auch noch einen Jahrmarkt! Doch schneller wie einem lieb ist, zeigt Columbia auch seine hässliche Fratze. Schon früh entdeckt man Zeichen von latentem Rassismus und religiöser Fanatismus scheint eng in die Columbias Gesellschaft verwoben zu sein. Dieser Fanatismus wird einem dann auch recht bald zum Verhängnis. Aufgrund einer Narbe auf der Hand wird man beschuldigt, ein von Comstock prophezeiter „falsche Hirte“ zu sein. Der Kampf ums Überleben beginnt.

bioshock infinite 3

Apropos Kampf … und ich traue kaum das niederzuschreiben … mir gefiel auch der oft gescholtene Actionpart von „Bioshock Infinite“ deutlich besser wie noch der von „Bioshock“. Ja … die Gefechte in „Bioshock Infininte“ sind nicht sehr abwechslungsreich, der Einsatz der Spezialfähigkeiten, die man durch sogenannte Vigors erhält (das „Bioshock Infinite“-Äquivalent der Plasmide) ist allerhöchstens optional und sonderlich fordernd sind die Kämpfe auch nicht, da man von Elizabeth mit Munition, Heilmitteln und Vigor-Salzen versorgt wird, falls es knapp werden sollte, aber … und ich schäme mich ein wenig das zuzugeben … das ist mir lieber wie ständig in der Angst zu leben, am nächsten Kampf zu scheitern, weil mir vielleicht die Munition ausgeht. „Bioshock Infinite“ ist in erster Linie storygetrieben … da möchte ich nicht durch das Gameplay vor irgendwelche größeren Hindernisse gestellt werden. Natürlich könnte man dann argumentieren, dass es in diesem Fall auch gerne weniger Schießereien hätten sein können (und das wäre auch valide), aber zumindest mich haben die Actionintermezzi nie sonderlich gestört. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass ich im Großen und Ganzen meinen Spaß mit ihnen hatte. So!

DES PUDELS KERN

Nach über 800 Worten komme ich damit dann auch schon zum eigentlichen Thema dieses Beitrags: Dinge, die mich an „Bioshock Infinite“ irritiert haben. Meine Hauptirritation hat zwar nichts mit dem Ende oder der Story an sich zu tun, aber man kann ja kaum etwas über das Spiel schreiben, ohne wenigstens kurz auf die Handlung einzugehen. Das hat zwar schon … naja … so ziemlich jeder vor mit getan, aber nachdem der Abspann über den Bildschirm geflimmert ist, verspürt man einfach einen unbändigen Drang sich auszutauschen. Ein jeder, der das Spiel noch vor sich hat, sollte sich die folgenden Spoiler nicht anzeigen lassen.

[spoiler]“Bioshock Infinite“ geht von der Theorie aus, dass eine unendliche Zahl paralleler Dimensionen existiert. Jede Entscheidung, die ein Mensch im Laufe seines Lebens trifft, kann zu Entstehung einer neuen Paralleldimension führen. Die Folge: es gibt unendlich viele Versionen einer einzelnen Person, deren Leben allerdings teilweise vollkommen anders verlaufen.

DER EINFACHE TEIL

Damit komme ich auch direkt zum großen Twist: Booker DeWitt und Zachary Comstock sind ein- und dieselbe Person. Beziehungsweise … sie sind unterschiedliche Versionen von ein- und derselben Person. Die Pfade der beiden Bookers trennten sich nach der Schlacht am Wounded Knee, in deren Verlauf die US-Kavallerie zahllose Indianer massakriert und damit einen blutigen Schlusspunkt unter die Auseinandersetzungen zwischen Indianern und US-Amerikanern gesetzt hat. Booker war einer dieser Kavalleristen.

Von Schuldgefühlen zerrissen, flüchtete er sich in die Religion und ließ sich noch einmal taufen, um unter neuen Namen ein neues Leben zu beginnen. Ein Leben als Zachary Comstock. Als solcher erschien ihm in einer Vision die Stadt Columbia … und eine Tochter, die Columbia zu Ruhm und Ehre führen würde. Er ernannte sich selbst zum Propheten, heiratete und erschuf mit Hilfe der Physikerin Rosalind Lutece die fliegende Stadt aus seiner Vision. Dummerweise stellte sich allerdings heraus, dass er mit Unfruchtbarkeit gesegnet war.

Beziehungsweise … nein! Quatsch … so war es nicht. Im letzten Moment entschied er sich nämlich gegen die Taufe und blieb Booker DeWitt. Er wurde Privatdetektiv, lernte ebenfalls eine Frau kennen, bekam eine Tochter, verlor seine Frau bei deren Geburt und fiel daraufhin in ein tiefes Loch. Beziehungsweise … nein! Beides geschah. Mehrfach.

bioshock infinite 4

Beide Versionen standen schließlich vor recht unterschiedlichen Problemen: Comstocks Vision von der ruhmreichen Tochter konnte aufgrund seiner Unfruchtbarkeit nicht wahr werden. Booker wiederum verfiel dem Alkohol und machte bei den falschen Leuten Schulden. Hier überschneiden sich die beiden Alternativen dann. Die Physikerin Rosalind Lutece entwickelte in Comstocks Universum gemeinsam mit ihrem „Zwillingsbruder“ Robert eine Möglichkeit Risse in andere Dimensionen zu öffnen. Robert Lutace nutzte einen solchen Riss, um Booker ein unmoralisches Angebot zu machen: seine Tochter Anna gegen den kompletten Erlass seiner Schulden. Booker willigte ein.

Doch im letzten Moment erwachte sein Gewissen dann doch aus seinem friedlichen Schlummer. Als er beobachten musste wie Robert gemeinsam mit seiner kleinen Tochter durch den Riss wieder zurück in Comstocks Universum möchte, versuchte er diesen aufzuhalten. Es misslang ihm. Der Riss schloss sich hinter seiner Tochter, die hilfesuchend ihre Hand nach ihm ausstreckte und dabei einen Teil ihres kleinen Fingers verlor.

Comstock hatte nun endlich die ihm prophezeite Tochter. Um zu verhindern, dass die Öffentlichkeit jemals erfährt wie diese in die Welt gekommen ist, beschloss er, dass die Lutece-Geschwister beseitigt werden müssen. Er beauftragte den Unternehmer Jeremiah Fink mit deren Liquidierung und von da an waren die Luteces nicht mehr in Columbia gesehen. Waren sie tot? Nein … viel cooler (ich weiß … kaum vorstellbar … was ist schon cooler wie der Tod?): sie existierten von nun an gleichzeitig in allen Zeiten und Dimensionen. Und sie trafen eine Entscheidung: alles was seit der Taufe Comstocks geschehen war, musste ungeschehen gemacht werden. Der perfekte Mann dafür? Ganz klar … Booker DeWitt. Hier beginnt das Spiel.

Viele Schießereien, Dimensionswechsel, seltsame Begegnungen, Reisen in die Zukunft und Visionen später endet es dann damit, dass Elizabeth Booker während seiner Taufe zu Comstock ertränkt und damit eine Zukunft abwendet, in der die Bewohner Columbias unter Elisabeths Führung einen Angriffskrieg gegen den Rest der Welt starten.

DER HÖ?-TEIL

Es sind eher die Details, die mir noch Rätsel aufgeben. Ganz offensichtlich ist Comstocks Vision ja zutreffend: Elizabeth ist besonders. Sie kann mit einer Handbewegung Risse zwischen den Dimensionen öffnen und gewinnt gegen Ende die Fähigkeit alle Wahrscheinlichkeiten zu erkennen. Man könnte sagen: Elizabeth ist ziemlich IMBA. Doch warum kann sie all das? Hätte sie das auch gekonnt, wenn sie bei Booker geblieben wäre? Ganz offensichtlich wurden in ihrer Kindheit Experimente mit ihr durchgeführt … sind diese dafür verantwortlich? Wenn ja … warum adoptiert Comstock dann nicht einfach irgendein Kind, führt mit diesem die Experimente durch und formt es nach seinem Willen?

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Auch Comstock selbst lässt noch einige Fragen offen. Vieles deutet darauf hin, dass der Comstock und der Booker, die sich in Columbia treffen, gleich alt sein müssten. Comstock ist jedoch ein greiser alter Mann, Booker wiederum höchstens um die 40. Und überhaupt … woher hatte Comstock überhaupt das Geld um den Bau von Columbia zu finanzieren? Es finden sich zwar zahlreiche Hinweise darauf, dass die Gründung der Wolkenstadt durch die US-Regierung unterstützt wurde und sich Comstock erst später von dieser losgesagt hat … aber würde die amerikanische Regierung so etwas tatsächlich zulassen?

Ist Rapture nur eine Alternativ-Version von Columbia beziehungsweise Columbia eine Alternativ-Version von Rapture?

Der Songbird … wer hat ihn gebaut? Waren das ebenfalls die Luteces? Wer kontrolliert ihn? Hat er einen eigenen Willen? Entspricht er den Big Daddys in „Bioshock“? Sind die „Little Sisters“ demnach das Äquivalent zu Elizabeth? Und apropos Parallelen zu Bioshock … wer hat die Vigors entwickelt? War das Fink? Und warum scheinen diese den meisten Bewohnern von Columbia am Arsch vorbei zu gehen? Kaum einer nutzt diese schließlich. Streng genommen scheint Booker der einzige zu sein, der sie intensiv verwendet. Die Abhängigkeit von den Plasmiden (beziehungsweise vom „Eve“) war doch noch eines der Hauptthemen von „Bioshock“, wenn ich mich nicht täusche.

 

Möglicherweise hat sich in meine Aufzählung das eine oder andere dumme „Hö?“ geschlichen und unzählige Nuancen blieben von mir sowieso unerwähnt, aber hey … dafür sind wir hier im Internet. Irgendjemand dort draußen in den Tiefen des Netzes wird es mit Sicherheit besser wissen. Sollte so jemand in diesen Artikel gestolpert sein und es bis hierher durchgehalten haben … Aufklärungen oder Korrekturen in den Kommentaren sind absolut willkommen![/spoiler]

 

DIE ULTIMATIVE IRRITATION 

Doch der Punkt, der mich am meisten an dem Spiel irritiert hat, hat nichts mit dem Ende und auch nichts mit der restlichen Handlung zu tun. Es ist an sich eine Kleinigkeit, aber diese Kleinigkeit hat mich immer wieder auf’s Neue aus der so liebevoll gestalteten Spielewelt herausgerissen. Kann mir irgendjemand dort draußen nachvollziehbar erklären, warum die Bürger Columbias ganz offensichtlich regelmäßig Geld, Munition und frische Lebensmittel wegwerfen? Wie muss man sich das vorstellen? „Schaaahaaatz? Bringst du mal den Müll raus? Hier stapeln sich wieder Munition und Geld. Dass du immer warten musst bis man sich kaum mehr bewegen kann.“

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Und nicht nur das … auch in Briefkästen lagern die Columbianer offenbar Geld, Munition, Salze und Lebensmittel. Reicht es nicht das überall Boxen herum stehen, in denen man seinen Kram verstauen kann? Muss man das Zeug auch in die Briefkästen stopfen? Wobei ich auch nie einen Postboten gesehen habe. Kein Wunder … bei diesem Verhalten meiner Mitbürger würde ich auch resignieren. Das ist doch unverschämt. Die Tatsache, dass der Durchschnittsbürger von Columbia keine Waffe trägt, lässt es noch seltsamer erscheinen, dass jeder massenweise Munition herumliegen hat. Andererseits … was soll man damit ohne Pistole auch anstellen?

Ich weiß … es ist ein Videospiel. Irgendwoher müssen Geld-, Energie- und Munitionsnachschub ja kommen. Trotzdem stellt sich die Frage, ob Briefkästen und Mülleimer da die richtige Wahl waren. Vielleicht hätte man auch einfach noch etwas mehr Kisten in die Landschaft stellen sollen, George McCrate hätte da sicher ein gutes Angebot gemacht. Irrational Games war ganz offensichtlich darum bemüht Columbia greifbar zu machen und eine glaubhafte Spielewelt zu entwerfen … und dann so etwas. In einem Moment stehe ich noch staunend auf den Straßen Columbias, im nächsten liegt meine Immersion zerschmettert am Boden … und das alles wegen eines kurzen Blickes in einen Mülleimer.

Trotzdem … gutes Spiel.

 

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