Gastbeitrag: Hatred – Pervers oder nur ehrlich?
Dirk M. Jürgens schleicht sich mal wieder durch’s Rübenbeet dieses Blogs und hat einen weiteren feinen Gastbeitrag mitsamt kreativ bemühter Illustrationen hier gelassen. Dies freut mich natürlich zum einen, da frischer (und vor allem auch guter) Content jeden Blog belebt, beschämt mich jedoch auch immer wieder auf’s Neue, wenn ich mitbekommen in welcher Geschwindigkeit Dirk diese Gemmen raushaut, während ich in aller Gemütlchkeit an meinen Texten herumdoktere. Wie dem auch sei … das Thema, dem sich Dirk angenommen hat, ist so aktuell wie moralisch heikel: „Hatred“.
Ein Hauch von 90er Jahren durchwehte die Gaming-Welt, als das unbekannte polnische Studio Destructive Creations den Trailer für ihr kommendes PC-Spiel „Hatred“ veröffentlichte.
Darin grollt ein langhaariger Mantelträger, wie sehr er die Menschheit hasse, bevor er loszieht, um in Third-Person-Perspektive einen Amoklauf zu starten. Alles Schwarzweiß, lediglich etwas Blaulicht und Blut bekommt Farben. Die isometrische Darstellung wird für Zooms unterbrochen, wenn er seine, meist um Gnade flehenden Opfer auf besonders drastische Weise exekutiert.
Düster pubertär, manche Leute von Tonfall und Ausdruck an den „Virgin Killer“ Elliot Rodger erinnernd:
This is the time for vengeance – and no life is worth saving! […] My genocide crusade beginns here!“
Die Gewaltdarstellung ist durchaus extrem, aber wenn man ehrlich ist, nicht wirklich so viel härter als das, was sonst so derzeit auf den Konsolen geschieht. Die Empörung, die der Trailer zuweilen hervorruft, speist sich eher aus dem Kontext der Gewalt: Nämlich so ziemlich gar keinem.
Was unseren Finsterling so gegen die Menschheit aufgebracht hat, bleibt offen. Sein Name tut, wie er selbst sagt, nichts zur Sache. Das winzige Bröckchen Narrative scheint lediglich Vorwand zu sein, damit losgeballert werden kann.
Auf seiner Website betont auch Destructive Creations gezielt diesen Aspekt:
Hatred is an isometric shooter with disturbing atmosphere of mass killing, where player takes the role of a cold blood antagonist, who is full of hatred for humanity. It’s a horror, but here YOU are the villain.“
Hier sei angemerkt, dass unsere liebenswerten Destruktierer offenbar nicht wissen, was ein Antagonist ist. Nämlich, egal ob gut oder böse ein Gegenspieler – und damit nicht die Spielfigur. Doch weiter:
The question you may ask is: why do they do this? These days, when a lot of games are heading to be polite, colorful, politically correct and trying to be some kind of higher art, rather than just an entertainment – we wanted to create something against trends.“
Natürlich! Familienfreundlichkeit und Politische Korrektheit, wo man in die Spielregale guckt – „Call of Duty“, „God of War“ und „GTA“ fristen ja längst ein Nischendasein. Aber ich sollte sie mal ausreden lassen:
Something different, something that could give the player a pure, gaming pleasure.
Player has to ask himself what can push any human being to mass-murder. We provoke this question using new Unreal Engine 4, pushing its physics (or rather PhysX) systems to the limits and trying to make the visuals as good as possible.”
Was den jetzt? Pures Spielvergnügen oder doch der Anspruch, Fragen aufzuwerfen (dank Unreal Engine 4, der Fragenaufwerfungsengine schlechthin)?
Gegenüber Eurogamer führte einer der Entwickler näher aus:
„I don’t think the content has gone too far. It’s just shooting virtual characters and if anybody has a problem with distinguishing reality from a game, he should turn off his computer and go for a long walk. 🙂 We do what you can find in so many titles, we just don’t want justify it. If someone doesn’t like the game and feels disgusted with its content, he doesn’t have to play it – plain and simple. It’s definitely not game for everyone.“
Der Smiley ist wieder einmal nicht gerade ein Zeichen ihrer Erwachsenheit, aber ein paar Punkte haben sie hier diesmal nun doch: Es ist ein Videospiel, viele Videospiele basieren auf Gewalt, doch alle Videospiele sind nicht real, entsprechend auch ihre Gewalt nicht. Was immer darin stirbt, stirbt nicht wirklich und wie fotorealistisch die Graphik auch ist, bleibt es doch zeichenhaftes, bloßes Symbol von Gewalt (wo ist Umberto Eco, wenn man ihn mal braucht?).
Dass dieses Spiel mean spirited ist, liegt auf der Hand, aber Schurkenprotagonisten sind in diesem Medium an der Tagesordnung. Dass die Gewalt etwa in „Hitman“ tiefere handlungstechnische Begründung hat, mag ein künstlerischer Pluspunkt sein, aber ist es auch ein moralischer? Es mag, angesichts der Trailerszenen, von wehrlosen Unschuldigen, denen Knarren in den Mund geschoben wird, befremdlich klingen, aber – ist die unmotivierte Gewalt in „Hatred“ vielleicht sogar ehrlicher, als die seiner Kollegen?
Denn die Aberhunderten von Terroristen, die man etwa in „Call of Duty“ abknallt, müssen nicht wegen der Taten realer Gotteskrieger und für den Schutz realer Menschen sterben, sondern schlicht aus dem Grund, dass sie Videospielgegner sind. Dass ihr Tod dem Spieler Spaß machen soll.
DAS ist letztlich der Grund für jeden einzelnen virtuellen Gewaltakt in einem Videospiel, von Marios Sprung auf einen Goomba, bis zur langsamen Strangulation in „Manhunt“. Nicht die Befreiung einer Prinzessin, die Rettung einer Welt oder irgendjemandes Überleben, sondern einzig und allein Spaß!
„Hatred“ scheint keinen Hehl aus dieser befremdlichen Wahrheit zu machen. Es scheint –so viel man aus künstlerischen und geschmacklichen Gründen dagegen vorbringen kann – zumindest vollkommen ehrlich zu sein. „Medal of Honor“ wählt einen realen, laufenden Konflikt als Hintergrund für seinen Spaß und stellt seine Gewalt als unhinterfragbar gut und richtig dar. Stellt also direkt den Realitätsbezug her und möchte seinen Spieler zur Zustimmung zu den Tötungsorgien seiner Figuren zu bringen. – Wäre es vielleicht tatsächlich moralischer, auf solche Tarnung zu verzichten und zu sagen: „Guckt mal – da habt ihr Gewalt. Nun habt Spaß damit!“?
Ich möchte die Frage nur in den Raum stellen, ich kann sie nicht beantworten.
Mit „Hatred“ scheine ich leben zu können, das sagenumwobene „KZ-Manager“ oder „RapeLay“ würde ich auch nicht spielen. Da liegt meine Grenze und so gern ich es würde, kann ich nicht rational begründen, warum ein virtueller Amoklauf geht, eine ebenso virtuelle Vergewaltigung aber nicht mehr.
Oft wird vorgebracht, Spiele wie „Hatred“ gäben Videospielgegnern Munition in die Hand. Das ist sicherlich richtig, doch es ist ein taktischer, kein moralischer Einwand. Aber ich halte es für unklug, die Kunst schweigen zu lassen, um nicht falsch verstanden zu werden oder den Grimm ihrer Feinde auf sich zu ziehen.
Im Fall von „Hatred“ gibt es aber zumindest eine Hintertür, die uns von der Debatte befreit. So tauchten Hinweise darauf auf, dass mehrere der Entwickler rechtsradikalen Kreisen angehören. Das macht es nicht zwingend zum rassistischen Propagandaspiel, aber betrachtet man den Trailer, fällt zumindest die Diversität der Opfer auf. Sonst ist Vielfalt ja erfreulich, in diesem Zusammenhang hat sie aber doch einen unangenehmen Beigeschmack. Auf jeden Fall kann man es aber als spielexternen Grund sehen, es nicht zu kaufen.
Das aber tut nichts zur oben gestellten Frage: Denn im Fall eines Propagandaspieles wäre die virtuelle Gewalt hier verwerflich, weil sie einer verwerflichen Ideologie dient und eben nicht jener sinnfreie Gewaltspaß ist, den die Macher behaupten und der so viele Leute empört.
3 Kommentare
Marcus
Nicht dass ich sowas wie „Hatred“ kaufen würde oder verteidigen will, aber die Berufsempörten, die hier eine gänzlich neue Qualität der virtuellen Gewalt sehen wollen, sollten eins bedenken: Amokläufe in Videospielform sind ja nichts Neues. Ist irgendjemand jemals mit einem GTA-Spiel in Berührung gekommen, ohne wenigstens einmal mit der dicksten verfügbaren Knarre durch die Open World zu rennen und alles wegzuballern, was sich bewegt?
Das ist nicht Sinn und Zweck des Spiels, aber das Spiel hindert einen auch nicht daran. Und in den neueren Spielen dieser Art gibt es vermutlich sogar ein Achievement dafür…
Andreas
Das stimmt zwar prinzipiell, und trotzdem hat die ganze Chose bei „Hatred“ meines Erachtens eine etwas andere Qualität (zumindest soweit ich das nach Ansicht des Trailers beurteilen kann). Rein emotional sich die „Amokläufe“ bei GTA (und selbst bei einem „Postal 2“) auf einer etwas anderen Ebene. In den „GTA“-Spielen ist das gesamte Szenario dermaßen überspitzt, dass man nicht das Gefühl vermittelt bekommt, dass hier tatsächlich die großangelegte Tötung wehrloser Zivilisten zelebriert. Bei „GTA“ albert man eine Weile mit den Möglichkeiten herum, die einem gegeben sind, und lädt dann einen älteren Spielstand, um normal weiter zu spielen.
Ganz davon abgesehen möchte ich zusätzlich noch darauf hinweisen, dass ich bei den letzten beiden GTA-Spielen, die etwas realistischer angehaucht waren, sehr darauf bedacht war, keine Zivilisten zu töten, da dies teilweise unangenehm realistisch aussah (dies gilt vor allem für „GTA 4“). Bei „Red Dead Redemption“ war dieser Effekt sogar noch stärker…ich habe mich richtig geärgert, wenn ich zufällig mal einen Unschuldigen erwischt habe.
„Hatred“ befindet sich emotional dann doch eher in der Nähe der „No Russian“-Mission aus „Modern Warfare 2“ … diese empfand ich auch nicht als unterhaltsam. Es macht mir persönlich einfach keinen Spaß halbwegs erntshaft inszeniert auf Unschuldige zu schießen.
Allerdings fand ich die im „Hatred“-Trailer demonstrierten Zerstörrungseffekte irgendwie verlockend … ich mag es einfach, wenn in Spielen Dinge kaputt gehen 😀 Das reicht aber auch nicht, um ernsthaftes Interesse an dem Teil zu wecken…
…und ich bin mit Sicherheit kein Berufsempörter 😀
DMJ
Ich selbst bin da übrigens seltsam uneinheitlich: Es macht mir durchaus Spaß, unschuldige Spielfiguren umzubringen und einfach mal zu zählen, wieviele es werden, aber ich will es auch innerhalb des Spiels nicht „echt“ machen.
Will sagen, nach einem Blutbad speichere ich nicht, so dass es in der Spielwelt quasi nie passiert ist. – Ist natürlich absolut albern, da alles nicht echt ist, aber zeigt halt, wie sehr man sich in dem Spiel drin fühlt.
Bestes Beispiel: In „Deus Ex 2“ ist einem ja auch relativ freigestellt, wie man mit seiner Umwelt umgeht. An einem Schauplatz liefen auch ein paar Kinder herum und in videospielerischer Experimentirlust zog ich einfach mal die Knarre, legte auf eines an und drückte ab… und war schockiert, als es dann tatsächlich umfiel.
Ich hatte auf der Basis all meiner Videospielerfahrung fest damit gerechnet, dass das unter irgendwelchen Vorwänden nicht ginge. Ging aber!
– Das habe ich auch gleich danach überschrieben und bin in der nächsten Runde nur mit einem Kopfnicken an eben diesem Kind vorbeigegangen. 😛